Seid leise, ich transponiere!
Es ist 18.30 Uhr. Ich stehe in der Küche. Während ich Salat vorbereite, transponiere ich im Kopf meinen aktuellen Song rauf und runter. Dabei finde weder das richtige Messer, noch die richtige Tonart. 3 Kinder rezensieren gleichzeitig ihre Tageserlebnisse und bringen mich völlig aus der Fassung. Ich schimpfe, weil ich mich nicht mehr koordinieren kann. Das stößt auf Unverständnis. Wie man beim Salat schneiden nur durcheinander kommen könne, werde ich gefragt. Ich antworte, dass ich grad komponieren würde. Dies könnte ich zwar auch später tun, aber dann sind die Ideen wieder weg. Außerdem könnte ich müde werden oder aus Versehen doch wieder vorm TV landen. Das geht heute auf gar keinen Fall! Ich habe Pläne! Deshalb läuft die Sprachmemo-Funktion meines klapprigen I-Phone 4 weiterhin in der Dauerschleife. Kann ja alles wieder gelöscht werden.
Gelöscht habe ich mein musikalisches Vorhaben bereits mehrmals. Gescheitert bin ich immer wieder an den Ansprüchen an mich selbst. Zum einen fand ich meinen Gesang zu schwach. Ich eilte um mir Hilfe zu holen. Die Stimmtherapeutin sagte mir, ich müsse zunächst geerdet werden. Dies koste allerdings mehrere Hundert Euro. Die hab ich nicht und werde ich nie haben. Und ERDEN kann ich mich auch selbst. Also sah sie mich nie wieder. Zum Zweiten war ich einfach zu lange eingefleischter Fan der Kelly Family. Diese Musik hat mich so geprägt, ich könnte all meine Songs an diese Hippie-Combo verkaufen, es würde keiner merken, dass sie von mir sind. Problematisch ist nur, dass ich nun selbst nicht mehr so drauf stehe und ich die falsche Fangemeinde erreichen würde. Wenn ich mal auftrete, will ich nicht in der Berliner Columbiahalle sondern im Connewitzer UT meine Vorstellung geben. Wenn 20 Leute kommen, die ich nicht selbst auf die Gästeliste geschrieben habe, trinke ich Schnaps bis ich nicht mehr singen kann.
Ein weiterer Aspekt, warum ich mich selbst immer wieder musikalisch ausbremse, ist die Tatsache, dass ich lange nur über die unglückliche Liebe schreiben konnte. Das passt eigentlich nicht zu mir, denn ich bin tot unromantisch. Ich wollte die Welt kritisieren, und das Kleine und Schöne im Leben besingen. Und dabei wollte ich eine Heiterkeit verströmen, dass alle Menschen im Publikum sich aufgefordert fühlen, sich denselben Joint zu teilen und während sie ihre Hüften schwingen, sich an den Händen fassen und im Takt meines ironisch-humorvollen Songs ihre Köpfe wippen. Dabei stellte ich mir vor, dass der eine oder andere sogar vergisst, seine kürzlich erhaltende Tinder-Mail zu beantworten.
So ist es nicht und so wird es nicht werden. Meine Songs sind schwer, düster und tragisch. Statt auf kelly Family - Konzerten lande ich jetzt bei Anna Ternheim. Das hat es nicht besser gemacht. Aber anspruchsvoller. Ich kann nun auch Lieder „mit OHNE“ Refrain. Und ich singe über meine Liebschaften hinaus, meine Nachbarin ist ein gern gewähltes Opfer. Ich glaube, die Schwere meiner Lieder kompensiert mein durchaus heiteres und humorvolles Grundgemüt. Und irgendwie hat Schwere auch was Schönes. Wenn sie bewusst gewählt ist.
Während ich darauf warte, dass mein Esstisch sich füllt, folge ich einem kleinen Impuls und trällere einen aktuellen Song in A-DUR. Sehr beiläufig fragt mich mein Kind, von wem der Song sei. Ich antworte: “Ähm, von mir, mir Moment“. Ich nehme plötzlich eine gewisse Sprachlosigkeit bei meiner Tochter wahr. Das gibt es sonst nur wenn sie Fieber hat oder erst 1 Stunde später in die Schule gehen will. Wegen Physik und so…
Im Dialog stellt sich heraus, dass sie der Meinung war, dass alles was ich immer so sang und aufnahm und dann im Auto wieder anhörte um es wieder irgendwie zu verbessern, gecovert wäre. „Meine Mutter komponiert?“ Nun ja, zumindest versucht sie es. Und in Anbetracht dessen, dass meine Kinder heutzutage ihren Lehrern bei Instagram folgen, bin ich der Meinung, dass mittlerweile alles möglich ist und hab mich dafür entschieden, ebenfalls auf diesem großen Fest der unbegrenzten Möglichkeiten mitzutanzen. Meine Gästeliste fürs UT jedenfalls – steht.